Komplizierte Wahrheitsfindung

Alexander Stevens – „Falsch verdächtigt“

von Frank Becker

Komplizierte Wahrheitsfindung
 
Alexander Stevens über zweifelhafte Strafprozesse
 
Wer sich für Kriminalgeschichte und Strafprozesse interessiert und die frühen Gerichts-Reportagen von Sling (d.i. Paul Schlesinger), den Pitaval, Anselm von Feuerbach oder die Erinnerungen von Strafverteidigern wie Erich Frey, Rolf Bossi oder Ferdinand von Schirach gelesen hat, findet in den Büchern von Alexander Stevens neuen, interessanten Stoff.
Strafverteidiger Stevens hat bereits in „Aussage gegen Aussage“, „Der perfekte Mord?“ und „9½ perfekte Morde“ aufsehenerregende Kriminalfälle aufbereitet, nun befaßt er sich in seinem jüngsten Band „Falsch verdächtigt“ mit falschen Beschuldigungen, ungerechten Strafprozessen, von Staatsanwaltschaft und Polizei nicht sorgfältig ausermittelten Tatvorwürfen und fatalen richterlichen und gutachterlichen Fehlurteilen.
 
In seinem neuen Buch stellt Alexander Stevens wahre Fälle vor, bei denen seine Mandanten vielleicht völlig zu Unrecht einer Straftat verdächtigt wurden. Die Anschuldigungen reichen von Mord und Totschlag bis hin zu Vergewaltigung oder Brandstiftung. Ein maskierter Wahnsinniger, der scheinbar in der Nacht mit einem Aufsitz-Rasenmäher Jagd auf Menschen macht und dann zufällig als brutaler Vergewaltiger erkannt wird, ein Polizist, der seiner Ex Drogen mit kriminellen Helfern unterschiebt, ein Bestatter, der selbst gerade nochmal so dem Tod entkommen ist, ein Verfahren im Zusammenhang mit der unfaßbaren Kölner Silvesternacht 2015, eine dubiose Messerattacke einer „Influencerin“ auf ihren Partner und eine blauäugige Gefängniswärterin, die behauptet, von einem Gefangenen während mehrerer sozialtherapeutischer Gespräche mehrfach vergewaltigt worden zu sein - oder doch nicht? Diese und andere Fälle schildert Alexander Stevens detail- und blumenreich in seinem neuen Buch und vermag Zweifel daran zu wecken, daß der Wahrheit, geschweige der Gerechtigkeit vor Gericht immer Genüge getan wird.
 
Da er sich neben den Tatumständen auch eingehend mit den oft verzwickten Prozeß- und Verfahrensfragen seiner Fälle beschäftigt und die Fußangeln der Jurisprudenz aufzeigt, ist es rein durchaus interessantes Buch über vermeintliche und wahre Verbrechen geworden, das auch Fragen offen lassen muß, da tragischerweise nicht alle Tatvorwürfe – oft durch widersprechende Aussagen – geklärt werden können. Es ist auch ein wenig Gossip dabei, wenn Stevens im Schlußkapitel über 33 Seiten lang, breit und weniger juristisch als voyeuristisch den Streit und die individuellen Sichtweisen zweier B-Promis über einvernehmlichen oder nicht einvernehmlichen Sex auswalzt. Das fällt dann schon eher in die Klatsch-Kolumne einer Frauke Ludowig, zumal Stevens mit diesem Fall nicht einmal befaßt war.

Alexander Stevens – „Falsch verdächtigt“
Schockierende Fälle des bekannten Strafverteidigers
Mit einem Vorwort von Gisela Friedrichsen
© 2023 Piper Verlag, 270 Seiten, Broschur -  ISBN 9783492318709
12,- €
 
Weitere Informationen: www.piper.de